Höxter (red). „Ist die Kette echt“, fragt die kleine Luise und berührt ganz vorsichtig das Collier der „schicken Frau“. Die Dame im wehenden Sommerkleid ist eine von 50 Alltagsmenschen in der Höxteraner Innenstadt. Das Mädchen entdeckt sie heute gemeinsam mit Oma bei einer offenen Führung des Huxarium Gartenparks. Zig Schirme sind aufgespannt, als Guide Heike Kleffmann-Waldeyer die Gruppe durchs regnerische Höxter von einer Skulptur zur nächsten führt. „Nein, der Schmuck ist nicht echt, der Anhänger ist aus Beton und bemalt“, erklärt sie dem fünfjährigen Mädchen.
Sie ermutigt die Teilnehmenden, die Figuren anzufassen, auf Tuchfühlung mit den Alltagsmenschen vom Lechnerhof zu gehen. „Das ist ausdrücklich erlaubt.“ Deswegen sind die Farben auch mehrschichtig und besonders haltbar. Die schicke Frau stattet übrigens ihrer Schwester einen Besuch ab – die steht auf einem Balkon in der Bachstraße und „wohnt“ schon länger in Höxter. Ein paar Meter weiter reihen sich Passanten gerne in die Polonaise vor der Dechanei ein. „Die Inspiration hatte die Künstlerin Christel Lechner in einem Münchener Lokal, als sie unverhofft in eine Polonaise von Männern in kurzen Hosen hineingezogen wurde“, berichtet Heike Kleffmann-Waldeyer.
Eine Dame aus der Gruppe, die überwiegend aus Touristen besteht, stutzt und zeigt auf einen Herrn aus Beton: „Der kommt mir so bekannt vor“, lacht sie. Das schelmische Lächeln der Skulpturen steckt einfach an – selbst bei Dauerregen. So ergeht es vielen beim Betrachten der Lechnerfiguren. „Sie strahlen eine große Zufriedenheit aus“, findet Heike Kleffmann-Waldeyer.
An dem Paar angekommen, das gerade mit vollen Taschen das Modehaus Klingemann verlässt, diskutiert die Gruppe darüber, warum vielfach ältere Leute dargestellt werden, manchmal mit rundlicher Figur. „Besonders Christel Lechner will das gelebte Leben zeigen, interessiert sich darum sehr für Menschen im zweiten oder dritten Lebensabschnitt“, sagt die Gästeführerin. Authentische Typen sollen es sein, deren Gesichter Geschichten erzählen. Die Spuren der Zeit haben sich als Falten hineingegraben und die Körper geformt. „Das ist doch viel interessanter als Heidi Klum mit Modellmaßen.“
Die kleine Luise sucht verzweifelt die Schuhe der zweiten Frau, die mit geschürztem Rock am Fontänenfeld steht. „Mutter und Tochter – Laura und Christel Lechner – haben sich dazu von Pfützen-springenden Kindern anregen lassen.“ Schon seit fast drei Jahrzehnten verfolgt der Lechnerhof das Konzept der lebensgroßen Alltagsmenschen. An der Menschengruppe in der Stummrige Straße lädt Heike Kleffmann-Waldeyer die Teilnehmenden ein, den Perspektivwechsel nachzuvollziehen – einmal als Mitglied der Gruppe, die abgelichtet wird, einmal als Fotograf.
Bei der Gestaltung ihrer Skulpturen lassen sich die beiden Künstlerinnen immer von echten Menschen und Situationen inspirieren. Das gilt auch für die Putzfrauen am Gänsemarkt. „Die erinnern mich mit ihren Kittelschürzen an meine Oma“, wirft Heike Kleffmann-Waldeyer ein. Die modernen Clogs und die Zigarette in der Hand brechen wiederum das Klischee. „Die beiden passen gut unter die Gans an der Hausecke“, kommentiert eine Teilnehmerin.
Die kleine Luise kann unterwegs einen Lechner-Hund streicheln und der Sonnenanbeterin am Flussufer die Füße kitzeln – doch Dame aus Beton im Liegestuhl ist an diesem verregneten Nachmittag einfach nicht zum Lachen zu bewegen. Beim Rundgang durch die Stadt erfährt die Gruppe nebenbei auch noch Wissenswertes über Höxter – zum Beispiel über die aufwändig gestalteten Rosetten der Weserrenaissance-Häuser. Nach 90 Minuten endet die Führung am Fernglas-Mann am historischen Rathaus.
Die nächsten offenen Führungen zu den Alltagsmenschen werden am Sonntag, 21. April (12 Uhr), am Mittwoch, 1. Mai (13 Uhr) und Sonntag, 19. Mai (12 Uhr) angeboten. Treffpunkt ist jeweils vor der Sparkasse (Parkplätze sind am Berliner Platz verfügbar). Die Führungen kosten 8 Euro pro Person (möglichst EC-Zahlung). Kinder sind frei. Tickets können auch vorab online gekauft werden auf der Homepage des Huxariums.
Foto: Huxarium Gartenpark Höxter