Höxter (red). Wenn Yovani (10) und Fernando (8) aus Angola über ihre Unfälle sprechen, stellen sich viele Fragen: Yovani ist vor zwei Jahren gestürzt und hat sich dabei das linke Bein gebrochen. Auch vier Operationen haben nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Am linken Bein finden sich lange, breite Narben. Wenn er laufen will, knickt er im linken Kniegelenk weg, der Unterschenkel ist nicht stabil. Sein Laufen gleicht einem Akrobatik-Akt, der Unterschenkel weicht 60° nach innen ab. So kommt er lächelnd an Gehstützen vorwärts.
In den Röntgenaufnahmen des linken Unterschenkels fehlen zwei Drittel des Schienbeines. Dort, wo der Schienbeinknochen fehlt, schwingt das Wadenbein in die Lücke hinein.
"Bei Yovani haben wir das linke Schienbein durch das Wadenbein ersetzt. Sein Schienbein war durch Knochenentzündungen nach einer offenen Fraktur erheblich geschädigt", sagt Frank Blömker, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie der KHWE. Er hat in Brasilien gearbeitet und spricht fließend portugiesisch. So kann er sich mit Yovani und Fernando verständigen und erklärt ihnen, was als nächstes passiert. Mittelfristig wird das Wadenbein die Funktion des Schienbeins übernehmen. Wenn alles gut geht, wird Yovani bald wieder besser laufen können. Ob und in welchem Umfang weitere Folgeeingriffe nötig werden, muss nach der weiteren Heilung nach acht oder zehn Wochen entschieden werden.
Fernando kommt aus einem kleinen Dorf in Zentral-Angola. Er kann gar nicht viel zu einem Unfall mitteilen. Zu Hause spricht er mit seiner Mutter und den sechs Geschwistern Umbundu, eine Stammessprache. Ein wenig portugiesisch kann ebenso.
Hier angekommen war Fernando in einem derart schlechten Gesamtzustand, dass er zunächst auf der Kinderintensivstation betreut werden musste. Eine schwere Krise einer Sichelzellanämie hat zu einem lebensbedrohlichen Zustand geführt.
Dieser ist zunächst überwunden - es bleiben jedoch gravierende Probleme: Entzündungen mit Brüchen am linken Oberschenkel, am rechten Becken, am Rücken sowie an beiden Schultergelenken. "Wir sind im Hinblick auf die Behandlung von Fernando mit einigen Zentren im Gespräch" erläutert Frank Blömker. "Unser Ziel ist, Fernando zumindest ein Leben im Rollstuhl zu ermöglichen."
Von den Spezialisten der Klink für Unfallchirurgie und der Kinderklinik werden die beiden Kinder unentgeltlich behandelt. Ins Klinikum Weser-Egge sind sie über das Friedensdorf International in Oberhausen gekommen. Seit vielen Jahren kommen schwer verletzte und kranke Kinder aus vielen Ländern nach Höxter, um hier die medizinische Hilfe zu bekommen, die ihnen in ihren Heimatländern niemand gewähren kann.
Friedensdorf International holt kranke und verletzte Kinder aus Kriegs- und Krisengebieten in der ganzen Welt zur medizinischen Behandlung nach Deutschland. Die Organisation wurde 1967 als Bürgerinitiative gegründet, um den unschuldigsten Opfern aus Kriegs- und Krisengebieten zu helfen: und zwar durch schnelle und unbürokratische Hilfe. Seit der Gründung hat sich die Arbeit der Einrichtung erweitert, aber immer noch stehen die Kinder im Mittelpunkt. Aus der anfänglich ausschließlichen Einzelfallhilfe ist ein Programm für den Frieden geworden. Die drei Säulen der Arbeit von Friedensdorf International sind die medizinische Einzelfallhilfe für kranke und verletzte Kinder, denen in ihrer Heimat nicht geholfen werden kann, die aber durch eine Behandlung in Europa eine Chance auf Heilung haben. Zweitens gibt es Hilfsprojekte in Kriegs- und Krisengebieten zur Verbesserung der medizinischen Versorgung vor Ort und drittens fördert die friedenspädagogische Arbeit humanitäres Bewusstsein und soziales Engagement in Deutschland. Seit 1987 ist das Friedensdorf Bildungswerk als Familienbildungsstätte staatlich anerkannt.
Das Team der Kinderklinik staunt, mit wie viel Geduld und Vertrauen die beiden Jungen, die ihre Familien monatelang nicht gesehen haben, die Behandlung in Höxter mittragen. Geplant ist, dass sie nach einem erneuten Aufenthalt in Oberhausen im Mai zurück in ihre Heimat fliegen.
Foto: KHWE