Höxter (red). Nach Angaben des Bundeskriminalamtes werden in Deutschland täglich zahlreiche Kinder misshandelt oder sexuell missbraucht. "Auch in unserem Arbeitsalltag werden mein Team und ich häufig mit diesem Thema konfrontiert und stoßen dabei auch an unsere Grenzen", sagt Firooz Ahmadi, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am St. Ansgar Krankenhaus in Höxter.
Sein Appell: Ärzte, aber auch Pädagogen in den Kindergärten, Schulen oder Gesundheits- und Jugendämtern, müssen in diesem Bereich besser geschult werden. "Nicht selten haben sie Probleme beim Umgang mit Verdachtsfällen", sagt der 58-Jährige, "ihnen fehlen oft die erforderlichen Kenntnisse, Erfahrungen und verlässliche Handlungsleitlinien."
Was bedeutet eigentlich Kindeswohlgefährdung? Wie erkenne ich sie? Wann und wie muss ich als Arzt intervenieren? Über diese und weitere Fragen wurde bei einer Fortbildungsveranstaltung am Klinikum Weser-Egge diskutiert. Als Referentin konnte PD Dr. Sibylle Banaschak, Leiterin des Kompetenzzentrums Kinderschutz im Gesundheitswesen NRW gewonnen werden.
Anzeichen dokumentieren
"Ob das nicht rechtzeitig gespritzte Insulin, nicht verabreichte Medikamente, dreckige und nicht adäquate Kleidung oder schlechte Ernährung - auch das ist eine Form von Vernachlässigung, die wir nicht einfach übersehen dürfen", so Firooz Ahmadi, der betont, dass sich häufig viele verschiedene Indizien zu einem Mosaik zusammensetzen. Besonders wachsam sei der erfahrene Chefarzt dann, wenn die Eltern ein Alkohol- oder Drogenproblem haben. "Ich darf nicht sofort subjektiv urteilen und verurteilen, sondern muss die möglichen Anzeichen zunächst sammeln und dokumentieren", sagt Ahmadi, der seit mehr als 30 Jahren als Kinderarzt tätig ist. Das erfordere neben einer guten Menschenkenntnis vor allem das richtige Maß an Fingerspitzengefühl. Sollte sich ein Verdacht erhärten, werde das Jugendamt und die Polizei umgehend informiert.
Coronakrise: Mehr Fälle von Misshandlungen befürchtet
Für Firooz Ahmadi sind die sogenannten Früherkennungs-Untersuchungen bei Kindern wichtig und sollten weiterhin verpflichtet sein. "Nur so können wir mögliche Probleme und Misshandlungen auch frühzeitig erkennen", sagt er.
Vor allem in der Coronakrise befürchtet auch der Chefarzt der Kinderklinik besonders viele Fälle von Kindesmisshandlungen. Beispielsweise würden Verletzungen von Kindern, die wegen der aktuellen Situation mit ihren Eltern mehr zu Hause bleiben müssen, weniger auffallen. Ahmadi: "Frühwarnsysteme wie Kitas, Schule oder auch Sportvereine fallen weg."
Foto: KHWE