Höxter (red). Vortrag von Dr. Julia Diekmann “Gestalten der Wahrheit. Carl Julius Mildes Porträtzeichnungen von Psychiatriepatienten“ am Freitag, 25. März,19.30 Uhr.
Zwischen 1828 und 1834 fertigte der Hamburger Künstler Carl Julius Milde (1803 – 1875) mehr als 70 Porträtzeichnungen von Patienten in der sogenannten Irrenabteilung des Allgemeinen Hamburger Krankenhauses St. Georg an. Dies Zeichnungen waren Auftragsarbeiten der Ärzte, von denen die entsprechende Abteilung betreut wurde. Das macht diese sehr individuellen und oft mit zartem Strich gezeichneten Porträts zu Zeugen der Entwicklung der Psychiatrie zu einem eigenständigen Wissenschaftszweig und Fachgebiet innerhalb der Medizin, die sich nach 1800 vollzog. Entscheidend für diese Entwicklung war die Etablierung der psychiatrischen Anstalt und der Versuch, psychische Krankheitsbilder zu klassifizieren. Auch heute sind Krankheitsbilder und ihre Merkmale keineswegs festgeschrieben, wie die aktuelle Neuausrichtung des International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD) zeigt. Gerade die Revision des Anfang 2022 in Kraft getretenen ICD-11 hinsichtlich der Klassifizierung von psychischen Erkrankungen zeigt, dass der um 1800 begonnene Prozess noch keineswegs abgeschlossen ist. Entscheidende Schritte wurden damals in den großen psychiatrischen Anstalten in Frankreich gemacht, dort begannen wissenschaftlich arbeitende Ärzte auch damit, Porträts ihrer Patienten anfertigen zu lassen, um anhand physiognomischer und pathognomischer Merkmale psychische Erkrankungen diagnostizierbar und klassifizierbar zu machen. Die Porträts dienten als Grundlage für Publikationen, die Ärzten ein einheitliches Schema zur Verfügung stellen sollten. Es fällt unmittelbar auf, dass diese Porträts typisiert sind, die vermeintlich als typisch für ein Krankheitsbild erkannten Merkmale werden überzeichnet und teilweise karikiert. Die Würde der dargestellten kranken Individuen ist nicht relevant. Ganz anders die Porträts Carl Julius Mildes: Sie beeindrucken den Betrachter durch die Individualität der Dargestellten und das zeichnerische Können des Künstlers, kleinste und unscheinbarste Merkmale der Gesichtsstruktur sichtbar werden zu lassen. Sie beeindrucken weiterhin durch die Empathie des Zeichners, die auch heute noch spürbar ist, und stehen damit im krassen Gegensatz zu anderen in diesem Kontext angefertigten Porträts der Zeit. Das Spannungsfeld dieser Porträtzeichnungen zwischen Kunst und Medizin hat die Kuratorin des Forum Jacob Pins, Dr. Julia Diekmann, in ihrer Dissertation erforscht, über diese Arbeit und ihre Ergebnisse wird sie im Vortrag berichten. Es sind die aktuell gültigen Corona-Regeln zu beachten und ggf. erforderliche Nachweise vorzuzeigen.
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