Kreis Höxter/Bad Driburg (red). Fleisch ist ein wertvolles Lebensmittel. Viel zu häufig wird es zum beliebigen Konsumartikel in den Rabattschlachten der Märkte, auf Kosten von Geschmack und Qualität. Wie wichtig die Produktvielfalt und Verarbeitungsqualität im regionalen Fleischerhandwerk sind und das studieren nicht jeden glücklich macht, zeigt das Beispiel von Azubi Marco Rulle bei der Fleischerei Reitemeyer in Bad Driburg-Neuenheerse.
Nach dem Abi erstmal studieren. Für Marco Rulle aus dem Driburger Ortsteil Alhausen war das der klar vorgezeichnete Weg. Zunächst studierte er Geschichte und Philosophie, dann wechselte er die Studienrichtung auf Mathe und Physik, mit dem Ziel Lehramt. „Das war aber alles nichts für mich“ resümiert er die Zeit an der Uni. Neben dem Studium jobbte er in einer lokalen Gastronomie in der Küche. „Der Umgang mit Lebensmitteln hat mir gefallen. In der Küche habe ich mich besser aufgehoben gefühlt als im Hörsaal. Da war mir klar, ich muss was ändern“, sagt der 24-Jährige. Nach viel Abwägung und Gesprächen kam dann der Entschluss, das Studieren sein zu lassen und ins Lebensmittelhandwerk zu gehen.
Seine erste Idee, Koch zu werden, verlief aber nicht ganz nach Plan. Nach den ersten Wochen der Ausbildung zog er auch hier die Reißleine, die Chemie stimmte einfach nicht. Noch einmal hieß es sich umzuorientieren. Die Bewerbung bei Fleischerei Reitemeyer in Neuenheerse ging bereits nach Start des Ausbildungsjahres 2018 ein. „Erst war ich gar nicht überzeugt von Marco. Die vielen Wechsel, das hat auf mich überhaupt nicht gut gewirkt“, gibt Diethelm Reitemeyer, Seniorchef im Betrieb freimütig zu. Gemeinsam mit Sohn Tobias bildet er den jungen Mann im Betrieb aus. Die Bedenken sind nachvollziehbar, schließlich startet der Tag bei Reitemeyers morgens um vier Uhr dreißig, um die Waren tagesfrisch in die Auslage zu bekommen. Dafür müssen Auszubildende viel Disziplin aufbringen. Heute ist er sehr froh, dem Jungen aus seinem eigenen Heimatort Alhausen die Chance gegeben zu haben: „Unser Marco macht seine Sache richtig gut. Er lernt schnell und ist verlässlich. In der Berufsschule hat er nur gute Noten.“
Schon in seinem Nebenjob in der Küche war Marco Rulle entsetzt, was an Lebensmitteln alles weggeschmissen wird. „Den Massenkonsum von billigen Lebensmitteln und die Gedankenlosigkeit finde ich schrecklich. Viele Leute haben die Achtung und die Wertschätzung für Lebensmittel verloren. Für unser Fleisch und unsere Wurst sind Tiere gestorben. Mir ist wichtig, dass wir respektvoll und maßvoll damit umgehen“, schlägt er ernst Töne an. Darum sei die Lehre bei einem regionalen Fleischer für ihn auch das Richtige, da er von der Herkunft der Tiere über die Verarbeitung bis zum Verkauf alle Schritte mitbekommt und diese beeinflussen kann. Im Moment kommissioniert er bereits eigenständig die Waren für die beiden Filialen der Fleischerei in Bad Driburg. Unterfordert ist der ehemalige Student in der Fleischerei nicht: „Jeder Tag ist anders. Nichts ist gleich, da ist jede Menge Kopfarbeit gefragt. Was hat gerade Saison, was ist im Angebot, welches Stück eignet sich für welchen Einsatz, ist das Fleisch frisch oder gereift für bestimmte Gerichte vorteilhafter und so weiter.“ Dabei kann er sich auf die Erfahrung und den Blick von Altmeister Reitemeyer verlassen: „Das wichtigste ist immer zu fragen. Dafür macht er ja schließlich eine Ausbildung.“
Wurst ist nicht gleich Wurst, vor allem nicht in den Fleischereien im Kreis Höxter. Insgesamt gibt es rund 1.500 Wurstsorten, für die die Fleischereien eigene Rezepturen und Reifebedingungen entwickelt haben. „Allein das Thema Hackfleisch füllt in den Schulbüchern ganze Kapitel“, sagt Rulle. „Daraus Mettwurst zu machen ist eine Kunst, da gibt es so viele Möglichkeiten den Geschmack zu beeinflussen.“ Die Fleischerei Reitemeyer arbeitet regional. Deshalb ist sie auch Mitglied in der Regionalmarke Kulturland Kreis Höxter. Hier kommt nur das in die Frischetheke, was regional um die Fleischerei aufgewachsen ist. „Wir kennen unsere Landwirte, die für uns die Tiere aufziehen und aussuchen. Die Schweine leben länger, sind deutlich schwerer und haben einen höheren Fettanteil, den wir zum Beispiel für die Mettwurst unbedingt brauchen. Das alles hat Auswirkungen auf Geschmack und Qualität,“ sagt Diethelm Reitemeyer.
Marco Rulle fühlt sich im Fleischer-Handwerk angekommen: „Hier bin ich gut aufgehoben, die Arbeit ist vielfältig und ich lerne viel. Mein Freundeskreis hält weiter zu mir, auch wenn ich unter der Woche abends nicht mitkommen kann, weil ich morgens um drei aufstehen muss. Dafür habe ich aber um 13 Uhr Feierabend. Mittlerweile fragen sie mich auch schon nach Tipps für den richtigen Braten oder die Grillwurst.“
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