Kreise Lippe/Höxter/Paderborn (red). Die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) hat entschieden, die Zusammenarbeit mit den Kreisen Lippe, Höxter und Paderborn im Modellprojekt zur integrierten Rettungsleitstelle nicht fortzusetzen. Wenn sich die Menschen aus der Region unter der Rufnummer 116117 an den ärztlichen Bereitschaftsdienst wenden, werden sie ab Juni 2022 nicht mehr mit der Rettungsleitstelle des Kreises Lippe verbunden, sondern wieder mit einem zentralen Callcenter in Duisburg. „Ein Rückschritt für die Patienten in unseren Kreisen“, finden die Landräte aus Höxter, Lippe und Paderborn.
In einer externen Evaluation des Modellprojekts, die das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW in Auftrag gegeben hat, kommt ein Gutachter zu dem Schluss, dass die Umsetzung der geplanten Maßnahmen „weitgehend erfolgreich“ war. Wirtschaftliche Einspareffekte seien „plausibel und erreicht“. Auch NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat sich kürzlich während eines Besuches in Lippe positiv zum Projekt der integrierten Leitstelle geäußert. Dennoch hat die KVWL die Entscheidung getroffen, das Modellprojekt nicht weiterzuführen und dies den Landräten per Brief mitgeteilt. Ein persönliches Gespräch erfolgte nicht, wofür die Landräte wenig Verständnis zeigen:
„Im Juli 2018 sind wir partnerschaftlich mit allen Akteuren an den Start gegangen. Nun endet das Modellprojekt im Sommer durch einen unwürdigen Affront der Kassenärztlichen Vereinigung. Die Zusammenarbeit mit den Bezirksstellen der KVWL in Detmold und Paderborn läuft sehr gut, auch an anderen Stellen. Die Entscheidungen in der KVWL-Zentrale in Dortmund sind dagegen nicht nachvollziehbar“, betont Lippes Landrat Dr. Axel Lehmann. „Es macht den Anschein, als ob die Spitzenvertreter die Vorteile des Modellprojekts schlichtweg ausblenden. Die Qualität der medizinischen Beratung für die Anruferinnen und Anrufer ist durch den Modellversuch deutlich gestiegen. Jetzt läuft die KVWL wieder zurück in die falsche Richtung zur Zentralisierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in einem Callcenter, anstatt die dezentrale Beratung in den Blick zu nehmen“, erklärt Lehmann.
Paderborns Landrat Christoph Rüther: „Zunächst ist es bedauerlich, dass dieses bürgernahe Modellprojekt in dieser Form nicht weitergeführt werden soll, zumal es gelungen ist, die Wartezeiten bis zur Anrufannahme deutlich zu verkürzen. Wenn Menschen dort anrufen, sind sie mindestens gefühlt in Not. Und da zählt eigentlich jede Sekunde. Ich hoffe sehr, dass wir gemeinsam einen Weg finden, das Beste aus dem Modellprojekt mitzunehmen. Wenn die Bürgerinnen und Bürger künftig den ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der 116117 anrufen, müssen sie auch weiterhin auf bestmögliche und schnellstmögliche Hilfe vertrauen können.“
Landrat des Kreises Höxter, Michael Stickeln: „Für die Menschen ist die Zusammenführung dieser wichtigen Rufnummern ein exzellenter Service und eine große Hilfe in einer oft sehr sorgenvollen Lebenssituation. Beim Anruf in der Leitstelle erreichen die Bürgerinnen und Bürger einen erfahrenen Ansprechpartner am Telefon, der für sie eine Lotsenfunktion übernimmt und bei Bedarf mit Unterstützung eines Arztes klärt, ob eine hausärztliche Versorgung die angemessene Hilfe ist oder ob es sich um einen medizinischen Notfall handelt und der Rettungsdienst zum Einsatz kommt. Mit dem Auslaufen des Modellprojekts befürchten wir eine deutliche Mehrbelastung des Rettungsdienstes in unserem flächengroßen Kreis. Denn die Steuerungsfunktion der Leitstelle, die bei Anrufen der 112 und 116117 zwischen medizinischem Notfall und hausärztlicher Versorgung unterscheiden und für die angemessene und notwendige Hilfe sorgen, wird dann in dieser Form wegfallen.“
Über die Evaluation des Modellprojekts zur integrierten Rettungsleitstelle in den Kreisen Höxter, Lippe und Paderborn
Rund 34.000 Menschen haben im vergangenen Jahr die 116 117 aus Höxter, Lippe und Paderborn gewählt. Ihre Wartezeit bis Anrufannahme betrug zwischen 26 und 34 Sekunden. Im Vergleich: Vor Start des Modellprojektes mussten die Hilfesuchenden über drei Minuten warten, bis sie einen Callcenter-Mitarbeiter im Rheinland am Telefon hatten.
Auch damit einhergehend sind die Beschwerden auf nahezu Null gesunken. Die Rückmeldungen der Anrufer verdeutlichen eine klare Bürgernähe. Rund 90 Prozent der Gesprächsdauer liegt unter zehn Minuten, im Schnitt dauerte ein Gespräch 2:30 Minuten statt zuvor 3:02 Minuten. Wirtschaftliche Einspareffekte wurden erreicht, innerhalb der Disposition und bereitschaftsärztlichen Leistungserbringung sind zusammen Einsparungen zwischen 40.000 und 140.000 Euro pro Jahr realisiert worden.
Der Evaluationsbericht enthält umfangreiche Statistiken. Die konkreten Zahlen umgeht die KVWL in einer Stellungnahme an eine hiesige Tageszeitung jedoch. Sie moniert als Beispiel verlängerte Fahrtstrecken des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, tatsächlich sind die Wegstrecken um lediglich drei Prozent gestiegen. Diese hängen mit der Einzeldisponierung des ärztlichen Bereitschaftsdienstes in der Leitstelle Lippe im Gegensatz zur Gruppendisponierung durch das Callcenter zusammen. Vorteil ist, dass Personen, die schnell Hilfe benötigen, priorisiert und zeitnah angefahren werden und nicht abhängig von örtlichen Zusammenhängen in einem Pool von mehreren Hilfesuchenden auf den Arzt warten müssen.
Ein Ziel des Projektes sollte sein, die Zahl der Hausbesuche des ärztlichen Bereitschaftsdienstes durch eine bessere Beratung in der Rettungsleitstelle des Kreises Lippe zu reduzieren. Tatsächlich ist die Zahl der Hausbesuche seit 2018 um 31 Prozent zurückgegangen, was die KVWL als „nicht signifikant“ einstuft. Im Vergleich: In Ostwestfalen-Lippe sind im gleichen Zeitraum die Hausbesuche um 23 Prozent zurückgegangen, in Westfalen-Lippe um nur 19 Prozent.
Welche Erfahrungswerte die KVWL aus dem Projekt mitnimmt, um die Erreichbarkeit auch in Duisburg laufend zu verbessern, wie es die KVWL in ihrer Stellungnahme ankündigt, ist unklar.
Die drei Kreise haben weiterhin großes Interesse, die Ergebnisse des Modellprojekts nicht kommentarlos in die Schublade zu legen, sondern wollen wertvolle Erkenntnisse für die Zukunft gemeinsam nutzen.
„Die einseitige Beendigung des gemeinsamen Pilotprojekts erfolgte, bevor uns die Ergebnisse des externen Gutachtens vorlagen, das viele positive Aspekte bei der Integration der Rufnummer des ärztlichen Notdienstes 116117 bei der Leitstelle aufzeigt. Wir wünschen uns deshalb, dass die Kassenärztliche Vereinigung bereit ist, die Ergebnisse mit den beteiligten Kreisen als Projektpartnern und dem NRW-Gesundheitsministerium gemeinsam auszuwerten und dann erst auf Basis der Auswertung eine Entscheidung für die künftige Ausrichtung trifft“, erklären die drei Landräte.